Samstag, 22. Dezember 2012

Wahlanalyse Niedersachsen: Ein kleines Statistik-Experiment (3) - Der Faktor Mensch

Vor einigen Tagen hatte ich die grobe Methodik meiner Wahlanalyse für die Landtagswahl in Niedersachsen vorgestellt. Ziel ist es, in zumindest 80% aller Wahlkreisen den korrekten Sieger im vorhinein zu benennen - allein auf Grundlage bereits vorhandener demoskopischer Daten. Ein wesentlicher Unsicherheitsfaktor bei diesem Unterfangen stellt der Kandidat des jeweiligen Wahlkreises dar. Sehr schön können Sie das an diesen beiden Beispielen erkennen: 

Im Wahlkreis 20 (Holzminden) lag bei der Wahl 2008 das Ergebnis des CDU-Kandidaten Schünemann rund 12,5 Prozentpunkte über dem Zweitstimmenergebnis der CDU im selben Wahlkreis. Schünemann konnte den größten absoluten Vorsprung aller Direktkandidaten gegenüber dem Zweistimmenergebnis ihres jeweiligen Wahlkreises erzielen - ein echter Stimmenmagnet! Durch diesen persönlichen Stimmgewinn konnte der Wahlkreis sicher bei der CDU gehalten werden.

Das andere Extrem ist in Gestalt des CDU-Kandidaten Stefan Siemer zu beobachten (Wahlkreis 68 - Vechta). Er konnte überhaupt nicht an das - zugegeben herausragende - Ergebnis seiner Partei im Wahlkreis anknüpfen und verlor gegenüber der Zweitstimme rund 7 Prozentpunkte. Während im Wahlkreis rund 65,5% der Wähler die CDU mit ihrer Zweitstimme wählten, konnte Siemer nur rund 58,5 % der Stimmen auf sich vereinen - ein immer noch komfortables Ergebnis, welches aber vollständig dem von vornherein hohen CDU-Wählerpotential zuzuschreiben ist. Dass es trotz eines großen CDU-Vorsprungs in der Zweitstimme immer geht, noch einen drauf zu setzten, zeigt eindruckvoll der CDU-Kandidat Clemens große Macke. Er holte in seinem Wahlkreis mal eben 70,4% der Stimmen - Rekord bei der Landtagswahl 2008.

Und der SPD-Kandidat Swantje Hartmann aus dem Wahlkreis 65 (Delmenhorst) schaffte es sogar, eine Niederlage bei den Zweistimmen in einen Sieg bei den Erststimmen zu verwandeln. Er holte in seinem Wahlkreis 8,2 Prozentpunkte mehr Erst- als Zweitstimmen für die SPD - und konnte dadurch den ganzen Wahlkreis gewinnen.

Wie Sie sehen, ist es entscheidend, mit welchen Kandidaten die Parteien in den Wahlkreisen an den Start gehen, und wie sich diese beim Wähler verkaufen können. Will man den politischen "Wert" eines Kandidaten ermitteln, gibt es wohl kein günstigeres Instrument als den Vergleich von Erst- zu Zweitstimmen im Wahlkreis. Dabei sind mehrerer Dinge zu beachten:

  • 1. Die Erststimme eines Kandidaten liegt für CDU und SPD in der Regel fast immer über der Zweistimme im jeweiligen Wahlkreis. Dies liegt an der taktischen Erwägung des Wählers, der seine Erststimme nicht "verschwenden" möchten, indem er sie einem vermeintlich chancenlosen Kandidaten der kleineren Parteien gibt.  Der Wähler neigt dazu , einen der beiden Kandidaten der großen Parteien zu wählen.

  • 2. Das besonders gute Abschneiden des einen Kandidaten geht häufig einher mit dem schlechteren Abschneiden des jeweiligen Gegenkandidaten. Hier ist es schwierig zu ermitteln, ob das schlechte Ergebnis des einen Kandidaten Folge des besonders guten Abschneidens des anderen ist - oder umgekehrt. Welchen Anteil bei einem Wahlergebnis hat die gegnerische Stärke, welchen Anteil die eigene Schwäche?
  • 3. Die stärkste Partei im Land kann im Schnitt nur geringfügig mehr Erststimmen als Zweistimmen erzielen, während die zweistärkste Partei deutlich mehr Erst- als Zweistimmen erhält.
Eine simple Gegenüberstellung aus Erst- und Zweistimmen ist demnach nicht zielführend. Im Jahr 2008 hatten von 174 Kandidaten der beiden großen Parteien nur 14 weniger Erst- als Zweistimmen. Sind die restlichen Kandidaten jetzt durch die Bank vor Charisma strotzende Siegertypen, denen die Wähler zu Füßen liegen? Wohl kaum.

Um ein einigermaßen aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten muss also die errechnete Differenz aus Erst- und Zweitstimme um die parteispezifische Durchschnittsdifferenz aus Erst- und Zweistimme über alle 87 Wahlkreise bereinigt werden. Durchschnittlich holten die SPD-Kandidaten im Jahr 2008 4,1 Prozentpunkt mehr Erst- als Zweitstimmen (CDU 1,6%). Nur wenn man diese 4,1% von den Differenzen aus Erst- und Zweistimme bei jedem einzelnen SPD-Kandidaten abzieht, werden die wahren Wahlkreischampions offenbar - diejenigen, die selbst den durchschnittlichen Erststimmen-Zugewinn ihrer Partei noch toppen können.

Hinsichtlich einer Prognose für die Wahl 2013 ist dann entscheidend, ob der jeweilige Kandidat noch einmal zu Wahl antritt. Die bereinigten Differenzwerte aus Erst- und Zweitstimme sind fest an den jeweiligen Kandidaten gekoppelt - tritt er nicht erneut zur Wahl an, so verfällt dieser errechnete Bonus/Malus. Da bei einem neu aufgestellten Kandidat keine Vergangenheitswerte vorliegen, können in diesen Wahlkreisen keine kandidaten-bezogenen Zuschläge/Abzüge vergeben werden.

Sie sehen, allein dieses kleine und eigentlich sehr gut durch Zahlen belegte Analyse-Feld des Kandidatenbonus/-malus ist nur mit einigem Aufwand  und selbst dann nur sehr grobschlächtig durch die Statistik darstellbar. In vielen Fällen bleibt der Kandidat der blinde Punkt jeder Wahlkreisstatistik - immer dann, wenn er zuvor noch nie bei einer Wahl angetreten ist.

Um ihnen einen kleinen Vorgeschmack auf ein mögliches Resultat unserer kleinen Wahlanalyse zu liefern, habe ich ihnen im heutigen Artikel die erste selbst errechnete Wahlkreisvorhersage in Kartenform angehängt. Die Karte ist inzwischen veraltet, ich habe das statistische Modell etwas überarbeitet und eine neue Umfrage der InfoGmbH vom 22.12.2012 eingepflegt - doch so oder so ähnlich könnte sie aussehen, die finale Wahlprognose.

Im nächsten Beitrag geht es um die Tücken der Gewichtung, die Schwierigkeiten bei der Klassifizierung der Ergebnisse - und die Möglichkeiten der Ergebniskontrolle.

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