Dienstag, 18. Dezember 2012

Wahlanalyse Niedersachsen: Ein kleines Statistik-Experiment (2) - Alles auf Null?

Vor zwei Tagen hatte ich ihnen im ersten Artikel zur Niedersachsenwahl an gleicher Stelle eine Karte der Wahlergebnisse zur Landtagswahl 2008 gezeigt. Dabei konnten Sie sehen, mit welchem deutlichem Vorsprung die CDU damals die SPD in der Erststimme hinter sich lassen konnte, das Bundesland war bis auf wenige Ausnahmen praktisch schwarz - vergleichbar mit Hessen oder Thüringen. Dies ist insofern interessant, als Niedersachsen bis vor wenigen Jahren neben Nordrhein-Westfalen im Westen als Hochburg der Sozialdemokratie galt. SPD-Größen wie Gerhard Schröder oder Sigmar Gabriel waren hier Ministerpräsident, die CDU verlor bereits 1990 ihre Hausmacht, acht Jahre vor dem Ende der Ära Kohl. Vor diesem Hintergrund ist der schnelle politische Wandel, den das Land nach langen Jahren sozialdemokratischer Regierungstätigkeit vollzogen hat, bemerkenswert - bis hin zur oben erwähnten CDU-Dominanz in der Wahlkreiskarte.

Bei der Karte, die ich für den heutigen Artikel verwende, sind die Wahlkreise noch grau - sie geben keine politischen Tendenzen preis, sind nicht deterministisch der einen oder anderen Partei zugerechnet, erzeugen die Illusion, dass alles möglich sei, dass jede Partei bei dieser Wahl wieder von Null anfangen können und die Vergangenheit plötzlich keine Rolle mehr spiele. Natürlich täuscht diese Illusion gewaltig: Vergangene Wahlergebnisse spielen sehr wohl eine Rolle, keine der etablierten Parteien kann hier wirklich bei Null beginnen. Es gibt in den Wahlkreisen klare gesellschaftliche Unterschiede, die wiederum klaren politischen Präferenzen zugeordnet werden können. Genau dies will ich heute tun.

Dazu benötigen wir im ersten Schritt die Wahlergebnisse aller landesweiter Wahlen, die in Niedersachsen seit 2008 durchgeführt wurden. In meiner Auswertung habe ich bis jetzt die Landtagswahl 2008, die Bundestagswahl 2009, die Europawahl 2009 sowie die Kommunalwahl 2011 berücksichtigt. Bei Landtags- und Kommunalwahl sind besonders die Erststimmenergebnisse auf Wahlkreisebene interessant, bei der Bundestagswahl und der Europawahl habe ich auf die Analyse der Wahlkreise verzichtet und nur das niedersächsische Gesamtergebnis berücksichtigt.

Hier zeigt sich schon der erst Schwachpunkt dieses Vorgehens: In Niedersachsen existieren für verschiedene Wahlen zu verschiedenen Zeitpunkten verschieden zugeschnittene Wahlkreise, eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse wird dadurch erheblich erschwert. Das muss man wissen, um die Ergebnisse im Nachhinein richtig interpretieren zu können. Am aussagekräftigsten für eine Wahlanalyse auf Wahlkreisebene ist wohl immer noch die Landtagswahl 2008. Sie erhält daher von mir die höchste Gewichtung (zu den Gewichtungsfaktoren später mehr).

Es gibt aber noch einen weiteren Grund, weshalb die Daten nicht ohne weiteres vergleichbar sind - die unterschiedlichen Wahlsysteme, die den Wahlen zugrunde liegen. Bei der Landtagswahl in Niedersachen werden die Kandidaten in den Wahlkreisen durch Mehrheitswahl bestimmt, wohingegen die Kommunalwahl eine eigenwillige Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl darstellte. Und bei den Europa- und Bundestagswahlergebnissen habe ich aus oben genannten Gründen nur die Zweitstimmenergebnisse berücksichtigen können. Wahltaktische Überlegungen verändern jedoch schnell die Wahlergebnisse, wenn für den Wähler absehbar wird, dass sein Kandidat die erforderliche Mehrheit der Stimmen bei Mehrheitswahlrecht kaum erreichen wird. 

Große Parteien wie SPD und CDU profitieren bei Mehrheitswahlrecht überproportional von diesen taktischen Erwägungen des Wählers, während sie bei Verhältniswahlen bei einer hohen Zahl an Mitbewerbern weniger Stimmen auf sich vereinigen können. Mit der 5%-Hürde existiert aber auch auf dieser Ebene ein Regulativ, welches zumindest bis zu einem gewissen Grad ähnliche wahlttaktische Überlegungen nötig macht.

Um die Daten sinnvoll aggregieren zu können, habe ich bei der Kommunalwahl 2011 die Wahlergebnisse politischen Lagern zugeordnet, der Annahme folgend, dass Wähler der Grünen bei einfacher Mehrheitswahl eher einen Kandidaten der SPD wählen würden - äquivalent dazu FDP/CDU.

Neben den Daten vergangener Wahlergebnisse möchte ich auch die aktuellsten Meinungsumfragen in die Analyse einfließen lassen. Die aktuellsten Umfragen stammen gegenwärtig von infratest dimap (06.12), der Forschungsgruppe Wahlen (06.12.) sowie von GMS (04.12.). Diese Umfragen werden im Anschluss zusammengefasst und mit den Zweitstimmenergebnissen der vorherigen Landtagswahl verglichen - denn nur diese Zweitstimme wird durch die Umfragen tatsächlich erhoben. Wenn man also davon ausgeht, dass mit einer Veränderung bei der Zweistimme auch eine äquivalente Veränderung bei der Erststimme einhergeht, können diese Daten durchaus wichtige Hinweise auf den Ausgang der Wahl in den jeweiligen Wahlkreisen enthalten.

Einen Faktor gibt es jedoch, den ich bisher bewusst außen vor gelassen hatte, den wichtigsten Faktor bei der Mehrheitswahl überhaupt: Der Kandidat! Während echte Persönlichkeiten in ihren langjährigen Wahlkreisen teilweise Traumergebnisse von über 70% einfahren können, erreichen schwächere Kandidaten noch nicht mal das Zweitstimmenergebnis ihrer Partei im eigenen Wahlkreis.

Im nächsten Teil dieser kleinen Serie will ich daher erläutern, mit welcher statistischen Methode man den persönlichen Einfluss des Kandidaten berechnen kann - und warum reine Statistik hier dennoch an ihre Grenzen gelangen muss.

Teil 3

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